Briefmarkenverein Singen
Sammler

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Von Jens Albes

Steil aufragende Dachbalken: Die ersten beiden Briefmarken der Bundesrepublik Deutschland zeigen zur Eröffnung des Bundestags ein Richtfest. Erschienen sind sie vor genau 70 Jahren, am 7. September 1949. Seitdem haben in Deutschland Hunderttausende Sammler in Ost wie West Millionen Briefmarken gesammelt. Ist das heute nur noch ein angestaubtes Hobby?

„Die meisten Personen stellen sich das Briefmarkensammeln langweilig und einseitig vor. Doch das ist nicht der Fall“, versichert der 17-jährige Samuel Schnitzler in Ruppach-Goldhausen bei Montabaur im Westerwald. Er kann sich begeistern: Einer der Briefe seiner Sammlung sei per Space Shuttle zur Internationalen Raumstation ISS geflogen und dort abgestempelt worden. „Nicht viele Leute können behaupten, einen Gegenstand, der bereits im Weltall war, zu besitzen.“

Doch die Szene plagen Nachwuchssorgen. Der Vorsitzende des Vereins Deutsche Philatelisten-Jugend, Heinz Wenz in Trier, ist selbst ein Sinnbild dafür: Mit 69 Jahren hat er nach eigenen Worten noch keinen Nachfolger gefunden. „Wir haben ungefähr 2000 Mitglieder in Deutschland“, sagt er. „Mit unseren Arbeitsgemeinschaften in Schulen sind es 4000.“ In den 90er-Jahren habe der Jugendverband noch rund 15 000 Mitglieder gezählt – ohne Gruppen in Schulen.

Dahmes Museumsleiter Tilo Wolf bei Vorbereitungen für die Schau, die am 9. November um 19 Uhr eröffnet wird.

Gründe für den Rückgang gebe es viele: mehr digitale Kommunikation, weniger Post mit klassischen Briefmarken, neue Freizeitfresser wie Computer und Handys, weniger Freiwillige für Jugendarbeit, erklärt der pensionierte Mathe- und Physiklehrer. Die Deutsche Post hat nach eigener Auskunft zum Beispiel 2001 noch 9,3 Milliarden Briefe befördert. 2018 waren es nur noch 7,7 Milliarden.

Kevin Weigt (20) schwärmt in Neuwied: „Briefmarkensammeln ist unheimlich vielseitig.“ Es gebe unzählige Spezialgebiete, es lasse sich viel Neues lernen. Der Student mit den Fächern Englisch und Geschichte auf Lehramt späht mit einer Leuchtlupe auf einen frankierten Brief: „Ich sammle Schweizer Postverkehr von 1849 bis 1875.“ Dabei nutze er auch das Internet: „Da gibt es Foren, da kann man sich mit anderen Sammlern austauschen.“ Auf 40 bis 50 Jahre schätzt Weigt dort den Altersdurchschnitt – und auf 60 plus in den Vereinen für Erwachsene.

Ein sammelnder Nachbar habe ihn als Kind zu diesem Hobby gebracht. Mit 14 habe er in Wiesbaden ein Praktikum „im ältesten Briefmarken-Auktionshaus Deutschlands“ gemacht, gegründet 1913. „Die meisten in meiner Schulklasse fanden mein Hobby ganz gut“, sagt Weigt. „Einige haben aber auch gefragt, ob das nicht eher was für alte Opas wäre.“

Die Deutsche Post verdient auch mit Briefmarkensammlern Geld. 26 „Philatelie-Shops“ in Postfilialen großer Städte haben auf sie zugeschnittene Angebote. Zu Messen und Ausstellungen mit Briefmarken fahren „EB-Teams“, sagt Postsprecher Erwin Nier in München. EB stehe für „Erlebnis Briefmarke“ – Sammler erhielten bei diesem mobilen Vertrieb der Post Marken, Sonderstempel und manches mehr. „Da kommen auch viele Kinder bis 14“, erklärt Nier. „Dann bricht es für zwei Jahrzehnte ein. Mit 35, 40 Jahren geht es wieder weiter.“

Samuel Schnitzler gehört mit seinen 17 Jahren zu den Ausnahmen in dieser Alterslücke. Seine Sammelgebiete sind Briefumschläge mit Stempeln von „raumfahrtbezogenen Postämtern, zum Beispiel des Kennedy-Space-Centers“, Weihnachtsmarken und Briefmarken mit Napoleon-Motiven. „Es ist schön, diese Sammlung Tag für Tag wachsen zu sehen, und auch das Auffinden neuer Napoleon-Marken, ähnlich einer Schatzsuche, macht mir viel Spaߓ, betont der Gymnasiast.

Eines kommt jungen Sammlern entgegen: Die Preise für Kollektionen sind oft gefallen. Hohe Auflagen neuerer Marken, weniger Sammler und damit weniger Nachfrage: „Jüngere Sammlungen der Bundesrepublik sind praktisch nicht mehr verkäuflich“, sagt Vereinschef Wenz. Nur bei seltenen und gesuchten Marken könnten die Preise noch anziehen. Er selbst habe schon als siebenjähriges Kind zu sammeln angefangen: „Mein Vater war lange in Russland in Kriegsgefangenschaft, er hat mir russische Briefmarken mitgebracht.“

Der Schüler Samuel Schnitzler findet, sein Hobby lohne sich gerade heute: „Eine Briefmarke ist etwas Handfestes – somit ein guter Ausgleich zur digitalen Flut und auch eine gute Möglichkeit, sich vom Alltag zu entspannen.“


Briefmarkensammeln: Zwei Experten über ihr Hobby

Erstellt: 13.01.2017, 17:32 Uhr

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Unter die Lupe genommen: Dieter Langnickel (li.) und Emanuel Rüff schauen sich einige Marken ganz genau an. © sh

Wolfratshausen – Briefmarkensammeln ist aus der Mode gekommen, gerade bei Jugendlichen. Warum eigentlich? Redakteur Patrick Staar unterhielt sich am Rande eines Vereinsabends mit zwei Briefmarken-Experten.

„Kommst Du mit zu mir? Ich zeig Dir meine Briefmarkensammlung.“ In den 1950er-Jahren hatte man gute Chancen, mit diesem Spruch die Angebetete in die eigene Wohnung zu locken. Heute würde man höchstens verwunderte Blicke ernten. Aber begeisterte Sammler gibt es immer noch: Der frühere Berufssoldat Dieter Langnickel (82) ist beim Briefmarken-Sammler-Verein „Isaria“ für die Öffentlichkeitsarbeit zuständig. Student Emanuel Rüff (23) ist Geschäftsführer des Wolfratshauser Vereins.

Was macht am Briefmarkensammeln Spaß?

Rüff: Es ist was Schönes, sich Stück für Stück eine Sammlung aufzubauen. Ich finde, man lernt über Briefmarken wahnsinnig viel über die Zeit und die Gesellschaft, in der sie rausgegeben wurde. Was war würdig, auf eine Briefmarke zu kommen? Das verändert sich im Laufe der Zeit.

Was hat sich denn verändert?

Rüff: Schauen Sie sich nur mal die bayerischen Marken aus dem Jahr 1871 an: Da war fast nur der Regent drauf. Und heute? Nirgends ist mehr der Bundeskanzler oder Bundespräsident zu sehen. In England ist das anders. Da gibt es Marken mit der Queen. Die Aussagekraft über die gesellschaftlichen Verhältnisse – das finde ich faszinierend.

Briefmarkensammeln gilt nicht wirklich als cooles Hobby. Warum?

Rüff: Ich weiß, dass es so ist, aber ich kann es nicht nachvollziehen. Vielleicht, weil es nichts mit Bewegung zu tun hat. Vielleicht ist es zu langweilig, weil zu wenig passiert.

Braucht man eine spezielle Persönlichkeitsstruktur, um Briefmarken zu sammeln?

Rüff: Man braucht schon Geduld und Ausdauer. Man muss ein ordentlicher Mensch sein, sonst landen die Briefmarken in 1000 Schuhschachteln, und man verliert die Übersicht.

Wie sind Sie zum Briefmarkensammeln gekommen?

Langnickel: Das war 1947, während der Schulzeit. Ich habe mich draußen immer gerne aufgehalten. Im Haus gegenüber saß ein Mädchen auf der Fensterbank. Sie hatte eine Schuhschachtel und hat da rumsortiert. Ich habe gefragt: „Was machst denn du da?“ Sie hat gesagt, dass sie von ihrer Oma aus Polen Briefmarken bekommen hat: „Schau mal, wie schön die sind.“ Ich habe die Briefmarken angeschaut – und der Funke war übergesprungen. Mit dem knappen Taschengeld, das ich hatte, bin ich zur Post gegangen und habe alle Briefmarken gekauft, die noch vorrätig waren.