Briefmarken – seit annähernd zwei Jahrhunderten lassen sich Menschen jeden Alters von diesem facettenreichen Thema begeistern. Was lässt sich mit Briefmarken nicht alles in Zusammenhang bringen – unverhoffte Dachbodenfunde mit wertvollen Schätzen oder vielleicht die tiefe Zufriedenheit eines Sammlers, der nach langer Zeit endlich die einzig noch fehlende Marke seiner Sammlung ersteht.
Oder vielleicht die Vorstellung, wir hielten einen schon leicht vergilbten Brief in Händen, der in geschwungener, altdeutscher Schrift verfasst und mit einer filigranen Marke aus dem ehemaligen deutschen Kaiserreich frankiert wurde. Und dessen verblasster Stempel bei näherer Betrachtung den Namen eines Ortes trägt, an dem wir selbst schon einmal waren und an den wir uns gerne erinnern. In solchen Momenten entstehen vor uns Bilder. Lebendige Bilder, die die Zeit, in der diese Briefe vor mehr als einem Jahrhundert auf dem Kaiserlichen Postamt aufgegeben wurden, wieder auferstehen lassen.
Deutsches Reich, Brustschildmarken des Kaiserreichs auf Brief
Wir sehen einen Postkutscher aus vergangenen Zeiten, der seine Pferde über einen holprigen, gepflasterten Weg lenkt, vorbei an hohen, schwarzen Gaslaternen, die einsam im Nebel stehen und ihr mattgelbes Licht auf den Weg werfen. Einen Kutscher, dessen Aufgabe es ist, die ihm anvertrauten Briefe an ihr Ziel zu bringen – zu den Menschen, die auf Nachricht ihrer Liebsten warten und für die ein solcher handverfasster Brief damals vermutlich erheblich mehr Bedeutung hatte als es die unüberschaubare Flut an E-Mails, die uns heute täglich erreicht, jemals haben könnte.
Briefmarken stellten das Beförderungsentgeld dar, dass auch durch Postkutschen geleistet wurde
Es ist nicht nur, vielleicht aber vor allem die tiefe Nostalgie, die die Beschäftigung mit der Philatelie so fesselnd sein lässt – Briefmarken lassen uns durch die Zeit reisen und nehmen uns mit zu allen großen zeitgeschichtlichen Umbrüchen der letzten 150 Jahre.
Sie erzählen von der Reichsgründung und erinnern uns daran, wie der afrikanische Kontinent einst unter den Kolonialmächten aufgeteilt wurde und auch das Deutsche Kaiserreich dort und im Pazifik Postanstalten in den Kolonien unterhielt.
Deutsch-Neuguinea 5 Mark Hohenzollern
Sie führen uns eine Zeit vor Augen, in der Briefmarken mit einem Nominalwert von 50 Milliarden oder 50.000.000.000 Mark verausgabt werden mussten, um einen Brief versenden zu können.
50 Milliarden gab es als Briefmarken und als Banknoten
Briefmarken sind auch Zeugen der beiden Weltkriege, ihrer Sieger und Verlierer. Sie dokumentieren die Entwicklung des Deutschen Reiches zum NS-Staat, erzählen aber auch von technischen Hochleistungen wie den Atlantiküberquerungen und Polarfahrten des Luftschiffs „Graf Zeppelin“.
Briefmarke zu 4 Reichsmark als Polarpost
Auch die Schönheit der damaligen deutschen Städte kommt in einer verausgabten Serie der „Deutschen Nothilfe“ auf sehr schöne Weise zum Ausdruck.
Briefmarke zu 50 Pfennig der Deutschen Nothilfe
Und Briefmarken kamen während Kriegszeiten immer dann zum Einsatz, wenn in den jeweils besetzten Gebieten in kürzester Zeit der Postverkehr sichergestellt werden musste. So wurden im Ersten Weltkrieg Marken des Kaiserreichs für die besetzten Territorien mit Aufdrucken in Gotischer Schrift versehen – so etwa für das Postgebiet Oberbefehlshaber Ost, das Etappengebiet West, Russisch-Polen oder das Generalgouvernement Warschau.
Briefmarke des Etappengebiet West des 1. Weltkrieges
Briefmarken des Generalgouvernements mit Aufdruck zu 30 Groschen
Auch im Zweiten Weltkrieg war die Verwendung von Marken des Deutschen Reiches, die einen Aufdruck mit dem Namen des besetzten Gebietes erhielten, übliche Praxis. Erst nach Kriegsende wurden von den Siegermächten die nun ihrerseits das ehemalige Deutsche Reich in die sowjetische, französische, amerikanische und britische Zone aufteilten, neue Marken herausgegeben und die Praxis, bereits verausgabte Marken mit Aufdrucken besetzter Gebiete zu versehen, fand ein Ende.
Briefmarken zu 12 Pfennigen des Dritten Reiches
Briefmarken der Britischen und Amerikanischen Zone
Aber auch jüngere Ereignisse, die positiv im kollektiven Gedächtnis geblieben sind, haben immer auch in der Philatelie eine entsprechende Würdigung gefunden – so etwa der Anschluss des Saarlandes an die Bundesrepublik 1957, der Fall der Mauer und die anschließende deutsche Wiedervereinigung 1990.
Briefmarken aus dem Saarland sind sehr beliebt
Es wäre jedoch zu kurz gegriffen, das thematische Spektrum der Philatelie auf eine rein zeitgeschichtliche Betrachtung zu verengen, da Briefmarken alle gesellschaftlich wichtigen Bereichen des Lebens thematisieren: So kommen technische Innovationen, verliehene Nobelpreise, Kunst & Malerei, bedeutende Persönlichkeiten der Musik & Medizin – um nur einige Wirkungsbereiche zu nennen – hier ebenso zum Ausdruck wie religiöse Feste, besonders sehenswerte Architektur, Natur- und Denkmalschutz, sportliche Großereignisse oder andere allgemeingesellschaftliche Themen.
Briefmarken-Motivsammler sammeln auch Briefmarken mit Motiven aus dem Sport
Schließlich ist die Beschäftigung mit der Philatelie aber immer auch eine kleine Schatzsuche: Ein seitenverkehrtes Wasserzeichen, eine abweichende Farbe, eine ungewöhnliche Zähnung, ein dickeres Papier, ein seltener Stempelabschlag können darüber entscheiden, ob die untersuchte Marke für wenige Euro zu haben ist oder man vielleicht eine Rarität entdeckt hat, die nach Prüfung einen Marktwert von mehreren Tausend Euro ergibt.
Briefmarken-Schatzsucher freuen sich über diese Abart
Kurz, es ist der Philatelie erfolgreich gelungen, uns seit annähernd 180 Jahren als Zeitenspiegel zu dienen. Heute sind im MICHEL-Deutschlandkatalog etwa 30.000 verschiedene Briefmarken erfasst und dort weiter in 24 deutsche Sammelgebiete unterteilt. Im MICHEL Deutschland-Spezialkatalog werden diese noch weiter nach Farben, Wasserzeichentypen, Papiersorten und vielen anderen philatelistischen Charakteristika unterschieden.
Briefmarken Michel-Deutschlandkatalog 2017/2018