Warum wir Briefmarken auch heute noch so lieben
Veröffentlicht am 30.04.2015| Lesedauer: 7 Minuten
Von Birger Nicolai
Korrespondent
Der „Bordeaux-Brief“ hat einen Wert von rund vier Millionen Euro und ist damit der teuerste Brief der Welt. Es ist der einzige Umschlag der Welt, auf dem sowohl die „Rote Mauritius“ als auch die „Blaue Mauritius“ prangen, zwei der wertvollsten Briefmarken, die es gibt
Quelle: picture alliance / dpa
Die Briefmarke fasziniert 175 Jahre nach ihrer Erfindung. Liebhaber zahlen Millionen. Höchste Stellen entscheiden, wer auf Sonderserien darf – überall, außer bei Frankreichs „unsterblichen Marken“.
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Firmen aus der Telekommunikation oder der Versicherungswelt wissen, wie es geht: Einfach eine Briefmarke auf den neutralen Briefumschlag kleben, und schon öffnet der potenzielle Neukunde die Werbepost und schaut sie an. Der Aufwand ist zwar lästig und meist mit Handarbeit verbunden, wenn statt des Briefmarkenstempels aus der Frankiermaschine eine echte Marke auf den Umschlag soll. „Aber Sendungen mit einer Briefmarke werden länger in der Hand gehalten und auch aufgemacht“, sagt Erwin Nier, der bei der Deutschen Post sämtliche Fragen der Briefmarkensammler beantwortet.
Aufmerksamkeit ist alles in der Flut der täglichen Werbesendungen, da greifen Unternehmen schon mal auf Mittel aus der Vergangenheit zurück. Eine neurowissenschaftliche Studie des Siegfried Vögele Instituts, die Aufmerksamkeit für Werbung in Papierform und am Bildschirm verglich, hat sich auch mit der Briefmarke beschäftigt. Das Ergebnis ist eindeutig: „Die Mehrheit denkt bei Briefen mit aufgeklebten Briefmarken spontan an private Post von Verwandten und Bekannten“, heißt es in der Auswertung. Testpersonen öffneten Post in dieser Reihenfolge: Werbung, Rechnungen, Post mit Marken.
Eine „One Penny Black“ aus dem Jahr 1840 – die erste Briefmarke der Welt
Quelle: Getty Images
Ob es E-Mails oder andere elektronische Kontakte sind: Der Brief samt Marke hat in den entwickelten Ländern längst Konkurrenz bekommen. Selbst wenn noch geschrieben wird, ist der Anteil der Firmenpost mit 90 Prozent riesengroß und wegen des Einsatzes von Portomaschinen die Zahl der Briefmarken seit Jahren rückläufig. Doch 175 Jahre nach der Herausgabe der ersten Briefmarke der Welt fällt bei einem Rundgang durch deutsche, britische, amerikanische, französische und spanische Postämter auf, dass es Ideen zur Wiederbelebung gibt: Und sei es nur durch neue Motive wie Zeichnungen oder Karikaturen.
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Am 6. Mai 1840 wurde in Großbritannien die erste klebende Marke verwendet. Heute ist die „One Penny Black“ die am meisten gesuchte Briefmarke unter Sammlern in dem Land – auch wenn sie mit 68 gedruckten Exemplaren keineswegs selten ist. Anfang Mai plant die britische Royal Mail eine Kampagne zu Ehren der „One Penny Black“.
Post an Weihnachten und Ostern
Die Deutsche Post feiert das Ereignis nicht, schließlich kam hierzulande die erste Briefmarke am 1. November 1849 im damaligen Königreich Bayern heraus – mit dem Namen „Schwarzer Einser“ wegen der großen Ein-Kreuzer-Wertziffer und der Farbe.
Ein kompletter Bogen des „Schwarzen Einser“, der ersten deutschen Briefmarke
Quelle: picture alliance / dpa
Von den heute rund 64 Millionen Briefen in Deutschland sind etwa sechs bis zehn Prozent noch private Post. Der Anteil schwankt je nach Saison: An Weihnachten und zu Ostern ist die Hauptzeit, oft sind bewusst ausgewählte Marken aus der Postfiliale darauf geklebt. Am Automaten gibt es ein Einheitsmotiv wie etwa das Brandenburger Tor, das in Abständen geändert wird. Die Marke aus dem Internet hat gar kein Bild.
In den Poststellen lassen sich jedoch noch Marken mit Motiven kaufen: Anfang Mai kommt als 62-Cent-Marke, dem seit Januar gültigen Standardporto, ein historischer Spielzug heraus. Das Bild zeigt eine schaukelnden Elefanten mit einem Kasperle auf seinem Schoß. Ebenfalls neu sind Marken der Sporthilfe, die mit einem Aufpreis zwischen 30 und 55 Cent verbunden sind: Zeichnungen zeigen einen Läufer mit einem Bein und einer Prothese sowie eine Tennisspielerin im Rollstuhl oder einen Skiläufer auf einem Ski.
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Zu Ostern kamen zuletzt Marken aus dem Kinderbuch „Felix der Hase“ heraus – mit einem schreibenden Hasen und einem, der gerade durch die Landschaft spaziert. Für ein paar Cent Aufpreis können sich bei der Post Kunden auch ihre Marken selbst gestalten und etwa zu einer Hochzeit per Post mit eigener Foto-Briefmarke einladen.
Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble bei der Übergabe der Briefmarkenserie „Für den Sport 2014“. Die Marken sind mit Mäuse-Zeichnungen des Cartoonisten Uli Stein gestaltet. In diesem Jahr werden Zeichnungen mit Behindertensportlern darauf zu sehen sein
Quelle: dpa
Jedes Jahr bringt die Deutsche Post etwa 50 neuen Marken heraus, genau genommen, ist es das Bundesfinanzministerium, das die Befugnis dazu hat. Beteiligt sind diese zwei Gremien: Der sogenannte Kunstbeirat des Ministeriums legt die Themen fest, das können Geburtstage bekannter Personen oder andere Anlässe sein.
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Vierte Produktkategorie bei Ebay
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Der Programmbeirat wiederum beauftragt einen Kreis von bis zu 40 Grafikern damit, Vorschläge zu erarbeiten und wählt am Ende die Gewinner aus. Zu Lebzeiten wird niemand auf diese Weise geehrt, mit zwei Ausnahmen bislang: Papst Benedikt und Helmut Kohl haben bereits eine eigene Briefmarke bekommen. Eine Marke zu Ehren von Günther Grass zum Beispiel ist erst am zehnten Todestag wahrscheinlich.
Auch in Großbritannien, dem Land, das mit der „One Penny Black“ den Beginn des modernen Briefmarken-Zeitalters einläutete, geht der Gebrauch von Briefmarken zurück. Zwar werden nach Angaben der Royal Mail mehrere hundert Millionen Marken pro Jahr verwendet, die Zahl der Postsendungen sinkt aber jährlich. Der Großteil der Sendungen wird als Firmenpost verschickt und trägt deshalb keine klassischen Briefmarken.
Papst Benedikt XVI. – zusammen mit Helmut Kohl die einzige Persönlichkeit, die zu Lebzeiten mit einer Briefmarke geehrt wurde
Quelle: dpa/ Picture-Alliance / epa apa Oesterreichische Post Ag
Postwertzeichen haben jedoch immer noch einen hohen Sammlerwert in Großbritannien. „Briefmarken sind unseren Erfahrungen zufolge die am viertmeisten gehandelte Produktkategorie bei Ebay“, sagt Keith Heddle, Geschäftsführer bei Stanley Gibbons Investments, einem der führenden Häuser für den Handel mit wertvollen Marken.
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Die erste amerikanische Briefmarke kam am 1. Juli 1847 in Umlauf – sieben Jahre nach der „One Penny Black“. Zuvor wurden Briefe in den USA vom Empfänger gezahlt. Für Briefe aus Übersee waren die Schiffskapitäne zuständig: Sie schalteten Anzeigen in der Zeitung mit einer Liste von Namen jener Personen, die sich ihre Post im Hafen abholen konnten. Doch heute schicken die Amerikaner privat deutlich weniger Briefe als früher: Die Zahl der verkauften Briefmarken ist in den USA in den vergangenen zehn Jahren von 30 Milliarden auf 19 Milliarden Stück zurückgegangen.
„Unsterbliche Marken“ in Frankreich
Ende des 19. Jahrhunderts begann das staatliche Postamt, auch Sammelmarken auf den Markt zu bringen. In der Nachkriegszeit gab es eine Periode, in der der staatliche US Postal Service (USPS) relativ unkontrolliert große Mengen von Ehrenmarken für bekannte Persönlichkeiten in Umlauf brachte. Seit 1957 gibt es dafür das Citizens’ Stamp Committee aus Historikern, Kunstexperten und Naturwissenschaftlern: Sie empfehlen jedes Jahr 25 bis 30 Themen und Personen, die die Sammlermarken zieren sollen. Seit vier Jahren sind auch Bilder lebender Prominenter erlaubt: Eine der beliebtesten Sammlermarken des vergangenen Jahres war die Batman-Marke.
Frankreichs Präsident François Hollande am Nationalfeiertag des Jahres 2013, bei der Vorstellung einer Marianne-Briefmarke
Quelle: picture alliance / abaca
In Frankreich nutzen Briefeschreiber „unsterbliche Marken“ – in Rot, Grün oder Blau, je nach dem Jahr ihrer Erstausgabe. Die bei den Franzosen seit 1944 geläufigste Briefmarke „Marianne“ ist nämlich dauerhaft gültig, selbst wenn die französische Staatspost La Poste die Preise für sie erhöht. Die Portopreise sind niemals aufgedruckt, allein die Farbe, in der das von Eugène Delacroix auf dem Gemälde „La liberté guidant le peuple“ verewigte Nationalsymbol auf der Briefmarke stilisiert dargestellt wird, entscheidet über den Wert.
Die rote und 76 Cent teure „Marianne“ dient als Porto für bis zu 20 Gramm schwere Briefe, die am nächsten Tag in Frankreich zugestellt werden, die 95 Cent teure blaue für Post, die innerhalb von Europa verschickt wird. Zusätzlich dazu hat das Staatsunternehmen auch schön gestaltete Briefmarken wie etwa derzeit einen Block mit fünf von dem Designer Jean-Charles de Castelbajac gezeichneten Herzen im Programm.
Sie kosten genau so viel wie die grüne „Marianne“, haben jedoch den Nachteil, dass der Preis aufgedruckt ist und im Fall von Portoerhöhungen zusätzliche Briefmarken aufgeklebt werden müssen. Doch auch in Frankreich sinken die Zahlen: Fielen bei La Poste 2004 noch 18,5 Milliarden Postsendungen jährlich an, waren es 2013 nur noch 13,7 Milliarden.
Sammlerstücke für Diebe
Die gute alte Briefmarke bekommt der Spanier auch auf der Iberischen Halbinsel seltener zu Gesicht, denn auf dem Postamt werden die Sendungen in der Regel mit Frankiermaschinen abgestempelt. Wer Briefmarken kaufen will, muss extra danach fragen. Immerhin wird noch jede Woche eine neue Sondermarke mit unterschiedlichen Motiven auf den Markt gebracht: Das können Stierkampfszenen oder auch die Höhlen von Altamira sein. Die Standardmarken wurden 2014 auf König Felipe umgestellt. Dieses Jahr wurde das Porto für Standardbriefe im Inland um zehn Prozent erhöht. Der Brief kostet jetzt 42 Cent.
Auch große Ereignisse lassen nicht lange auf ihre Briefmarke warten – hier die Sondermarke zum WM-Titel-Gewinn der Fußball-Nationalmannschaft
Quelle: picture alliance / dpa
Dass die Briefmarke weltweit trotz der abnehmenden Zahl an Briefeschreibern ihren Nimbus nicht verloren hat, zeigt sich auch am Sammlerwert rarer Stücke. Für die besonderen Stücke bieten Liebhaber immer höhere Summen. Die teuerste Briefmarke der Welt ist seit vergangenem Jahr die „British Guiana“, die für den neuen Rekordpreis von 9,5 Millionen Dollar versteigert wurde.
In Deutschland ist die Briefmarke auch anderswo ein Sammlerstück: Diebesbanden spezialisieren sich auf den Klau von größeren Mengen aus Poststellen heraus. „Einbrüche sind ein Thema, Banden sind gezielt auf Marken aus“, sagt Postexperte Nier. Kleinen Firmen werden die Briefmarken mit einem Abschlag auf den Wert von vielleicht zehn bis 20 Prozent angeboten, das spart ein paar Tausend Euro Portokosten im Monat. Die Post reagiert darauf mit einer eigenen Haus-Security. „Wir wissen, wie die Kleinanzeigen von Briefmarken-Banden aussehen und gehen ihnen nach“, sagt Nier.
Mitarbeit: Tina Kaiser, Ute Müller, Nina Trentmann, Gesche Wüpper